Das Bobath-Konzept ist ein Ansatz zur neurologischen Rehabilitation, der in der Patientenbeurteilung und -behandlung (z. B. bei Erwachsenen nach Schlaganfall, oder Kindern mit infantiler Zerebralparese (ICP)) angewendet wird. Das Ziel der Anwendung des Bobath-Konzepts ist die Förderung des motorischen Lernens für eine effiziente motorische Kontrolle in verschiedenen Umgebungen und damit die Verbesserung der Teilhabe und Funktion. Dies geschieht durch spezifische Fertigkeiten im Umgang mit dem Patienten, um ihn bei der Einleitung und Ausführung der beabsichtigten Aufgaben anzuleiten. Dieser Ansatz der neurologischen Rehabilitation ist multidisziplinär und bezieht in erster Linie Physiotherapeuten, Ergotherapeuten sowie Sprach- und Sprechtherapeuten ein. In den Vereinigten Staaten ist das Bobath-Konzept auch als "neuro-developmental treatment" (NDT) bekannt.

Das Konzept und seine internationalen Betreuer / Ausbilder haben sich die Neurowissenschaften und die Entwicklungen im Verständnis der motorischen Kontrolle, des motorischen Lernens, der Neuroplastizität und der menschlichen Bewegungswissenschaft zu eigen gemacht. Sie glauben, dass sich dieser Ansatz weiter entwickelt.

Geschichte

Das Bobath-Konzept ist nach seinen Begründern benannt: Berta Bobath (Physiotherapeutin; 1906 - 1991) und Karel Bobath (Psychiater/Neurophysiologe). Ihre Arbeit konzentrierte sich hauptsächlich auf Patienten mit Zerebralparese und Schlaganfall. Die Hauptprobleme dieser Patientengruppen resultierten in einem Verlust des normalen posturalen Reflex-Mmechanismus und normaler Bewegungen. In seinen Anfängen konzentrierte sich das Bobath-Konzept auf die Wiedererlangung normaler Bewegungen durch Re-Edukation. Seitdem hat es sich weiterentwickelt, um neue Informationen über Neuroplastizität, motorisches Lernen und motorische Kontrolle einzubeziehen. Therapeuten, die das Bobath-Konzept heute praktizieren, verfolgen auch das Ziel, optimale Bewegungsmuster durch den Einsatz von Orthesen und geeigneten Kompensationen zu entwickeln, anstatt völlig "normale" Bewegungsmuster anzustreben.

Therapie

Der Leitgedanke der Therapie ist, optimale Bedingungen für die Entfaltung der sensomotorischen Kompetenz des betroffenen Kindes unter Berücksichtigung der geistigen, sozialen und emotionalen Bereiche zu ermöglichen. Es gibt keine standardisierten Übungen, sondern im Mittelpunkt stehen individuelle und alltagsbezogene therapeutische Aktivitäten. Dies betrifft Bereiche wie Kommunikation, Nahrungsaufnahme, Körperpflege, An- und Auskleiden, Fortbewegung, Spiel und Beschäftigung -beispielsweise zu Hause, im Kindergarten, in der Schule, im Beruf oder in der Freizeit.

Aufgabe ist, günstige Voraussetzungen für sensomotorisches Lernen zu ermöglichen. Wesentliche Bestandteile hierbei sind, zentrale Wachheit und Aufmerksamkeit bei den Betroffenen zu aktivieren. Dazu können beispielweise somato- sensorische und vestibuläre Informationen, wie Berühren und Bewegen, aber auch Anregungen im akustischen und optischen Bereich, sowie im Geruchs- und Geschmacksbereich gezielt ausgewählt und angeboten werden. Schliesslich kann nur durch eigenes Ausprobieren und variationsreiches Wiederholen im entsprechend sinnvollen Kontext ein Prozess des handlungsorientierten und funktionellen Lernens entstehen. Daher werden stets Alltagssituationen gewählt, die zum Experimentieren und Entwickeln eigener Strategien besonders geeignet sind. Handlungskompetenz kann sich immer dann entwickeln, wenn der betroffene Mensch Ziele verfolgen kann, die für ihn selbst bedeutungsvoll sind. Die für das Erreichen des Zieles benötigte Hilfen erhält er durch die Anwendung bestimmter therapeutischer Techniken. Unter solchen Bedingungen kann optimale Eigenaktivität entstehen, die bei Beachtung biomechanischer Gegebenheiten durch das entsprechende therapeutische Angebot tonusregulierend wirkt.

Theorie

Das Bobath-Konzept unterliegt einem Wandel: Die heutigen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Neurophysiologie bedeuten einen Abschied vom genetisch- deterministischen Entwicklungskonzept der 50er Jahre. Seit über dreißig Jahren ist bekannt, daß die Entwicklung immer ein interaktiver Prozeß des Organismus im System seiner personellen und gegenständlichen Umwelt ist. Therapeutisch bedeutet das eine Hinwendung zu systemischen Ansätzen und letztlich Unterstützung der Eigenregulation des Organismus.

Die sehr komplexe Theorie und Therapie des Bobath-Konzepts und seiner neurophysiologischen Grundlagen sei hier noch einmal in einfache, kurze Merksätze gefaßt:

Spastizität

CP bedeutet nicht "spastische Muskeln", sondern Muskelhypertonus (oder -hypotonus) aufgrund einer zerebralen Fehlregulation.

Tonussenkung

Reflexhemmende Ausgangsstellungen sollen einen gesteigerten Muskeltonus senken.

Auslösung tonischer Reflexe

An einigen wenigen Körperpunkten sind beim zerebralparetischen Kind besonders leicht Tonuserhöhungen (tonische Reflexaktivität) auszulösen. Eine Berührung dieser Areale (vor allem Fußballen, Nacken sowie Lippen und perioraler Bereich) sollte daher beim Umgang mit dem Kind nach Möglichkeit vermieden werden.

Tonussteigerung

Tonussteigemde Maßnahmen können einen zu niedrigen Muskeltonus anheben - generell oder einzelne Muskelpartien betreffend (Tapping, Druck, Ko-Kontraktion).

Schlüsselpunkte

Die Schlüsselpunkte (Kontrollpunkte) der Therapie liegen proximal, Kopf, Wirbelsäule, Thorax, Schultern, Becken, Hüftgelenke, die Spastizität tritt am deutlichsten distal in Erscheinung: Therapie manipuliert also proximal, der Therapieeffekt hingegen ist in anderen (distalen) Körperregionen zu erwarten.

Fazilitation

Die Fazilitation von Schlüsselpunkten aus stellt ein dynamisches Konzept dar, das gleichzeitig die behindernden tonischen Reflexe hemmt und Bewegungen physiologisch richtig anbahnt.

Primäre/ Pathologische Bewegungsmuster

Primäre Bewegungsmuster (früher als "primitive Muster" bezeichnet) bedeuten statomotorische Retardierung,eine deutliche Entwicklungsverzögerung gegenüber der Altersnorm (z.B. 10 Monate altes Kind bewegt sich wie ein 2 Monate altes).
Als pathologische Bewegungsmuster werden solche außerhalb physiologischer Entwicklungsmuster bezeichnet (z.B. 10 Monate altes Kind weist ein Streckmuster der unteren Extremitäten auf, das zu keinem physiologischen Entwicklungsschritt paßt und norrnalerweise in keinem Lebensalter vorkommt).
Primäre Muster (also die Entwicklungsverzögerung) können allerdings durchaus Vorläufer einer CP sein; eine deutliche Entwicklungsverzögerung im statomotorischen Bereich kann eine CP ankündigen. Daher Vorsicht mit der Diagnose "Spätentwickler".

Therapieplan

Das Bobath-Konzept hält sich in seinem Therapieplan an die physiologische Reihenfolge, in der das Kind normalerweise statomotorische Leistungen erlernt. Daher ist etwa die Fazilitation des Gehens unsinnig, solange das Stadium des freien Sitzens noch nicht erreicht wurde.

Entwicklungsförderung

Das Bobath-Konzept ermöglicht aufgrund seiner neurophysiologischen Basis auch die Förderung statomotorischer Leistungen bei reiner Entwicklungsverzögerung. So können etwa bei stark hypotonen Kindern ("floppy infant") ) oder bei Säuglingen nach langen schweren Erkrankungen Entwicklungsstufen in der Therapie nachvollzogen bzw. erarbeitet werden. Diese therapeutische Förderung führt oft zu erstaunlichem Aufholen der verzögerten Entwicklung des Kindes.

Handling

Als Handling wird die Handhabung des zerebralparetischen Säuglings bezeichnet, die beim Füttern, Tragen, Baden, Wickeln, Umdrehen, Aufsetzen, An- und Ausziehen etc. Techniken anwendet, die aus dem Bobath-Konzept entwickelt wurden.

Kritik

Das Bobath-Konzept (auch NDT) wird auch häufig bei Kindern mit Zerebralparese (ICP) angewendet. Als jedoch die Wirksamkeit von Interventionen zur Behandlung von ICP von Novak et al. überprüft wurde, kamen sie zu dem Schluss: "Folglich gibt es keine Umstände, unter denen eines der Ziele des Konzepts nicht durch eine effektivere Behandlung erreicht werden könnte. Aus dem Grund, das Beste für Kinder mit CP erreichen zu wollen, ist es schwer zu begründen, warum die traditionelle NDT weiterhin in der klinischen Versorgung eingesetzt werden soll. Sie empfahlen folglich, "die Bereitstellung der immer beliebten NDT einzustellen".

Auch die Isländerin Thora B. Hafsteinsdottir, deren Ziel es ist, dem Umgang mit Schlaganfallpatienten reflektierte, wissenschaftliche Untersuchungen zugrunde zu legen (siehe auch Evidenz basierte Medizin), kritisiert das Konzept.

Quellen

Novak et al. (2013) 55 885-910. A systematic review of interventions for children with cerebral palsy: state of the evidence. Dev. Med. Child Neurol. Verfügbar als PDF unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1111/dmcn.12246

T. B. Hafsteinsdottir, J. Kappelle, M. H. F. Grypdonck, A. Algra: Effects of bobath-based therapy on depression, shoulder pain and health-related quality of life in patients after stroke. In: Journal of Rehabilitation Medicine. 39(8), 2007, S. 627–632. PMID 17896054

T. B. Hafsteinsdóttir, A. Algra, L. J. Kappelle, M. H. Grypdonck; Dutch NDT Study Group: Neurodevelopmental treatment after stroke: a comparative study. In: Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry. Jun;76(6), 2005, S. 788–792. PMID 15897499

 

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