Infantile Cerebralparese (ICP) ist eine Gruppe von dauerhaften Bewegungsstörungen, die in der frühen Kindheit auftreten. Anzeichen und Symptome variieren von Mensch zu Mensch und im Laufe der Zeit. Häufig gehören zu den Symptomen schlechte Koordination, steife Muskeln, schwache Muskeln und Zittern. Es können Probleme mit der Wahrnehmung, dem Sehen, Hören, Schlucken und Sprechen auftreten. Oft rollen, sitzen, krabbeln oder laufen Babys mit Zerebralparese nicht so früh wie andere Kinder in ihrem Alter. Weitere Symptome sind Krampfanfälle und Probleme mit dem Denken oder Schlussfolgern, die jeweils bei etwa einem Drittel der Menschen mit CP auftreten.
Der Name Zerebralparese oder Cerebralparese stammt von lat. cerebrum „Gehirn“ und griech. parese „Lähmung“, häufig abgekürzt ICP oder CP.
Zerebralparese wird durch eine abnormale Entwicklung oder Schädigung der Teile des Gehirns verursacht, die Bewegung, Gleichgewicht und Körperhaltung kontrollieren. Auslöser sind Hirnläsionen, die während der Fetalzeit, perinatal oder neonatal entstanden sind. Als Ursachen kommen vor allem Sauerstoffmangel, Geburtstraumen (mit interzerebralen Blutungen) und pränatale Infektionen in Betracht. Diese sensomotorische Störung von Haltung und Bewegung ist permanent und - auf neurophysiologischer Grundlage behandelt - nicht progredient (= fortschreitend).
Es ist keine einheitliche Erkrankung, sondern ein Symptom-Komplex. Er fasst eine Gruppe von Enzephalopathien zusammen, die klinisch durch folgende Faktoren gekennzeichnet sind:
- eine neurologisch definierbare motorische Störung: Spastik, Dyskinese, Ataxie
- eine Entstehung vor dem Ende der Neonatalperiode
- Fehlen einer Progredienz des zugrunde liegenden Prozesses
- häufig assoziierte zusätzliche Störungen (Epilepsie, cognitive Funktionsstörungen: globale mentale Retardierung und Teilleistungsstörungen)
Prognose: Eine permanente Heilung existiert nicht, aber unterstützende Behandlungen, Medikamente und Operationen können vielen Betroffenen helfen. Dazu gehören Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. Medikamente wie Diazepam, Baclofen und Botulinumtoxin können helfen, steife Muskeln zu entspannen. Zu den Operationen gehören die Verlängerung von Muskeln und das Durchtrennen übermäßig aktiver Nerven. Oft sind externe Zahnspangen und andere Hilfsmittel hilfreich. Einige betroffene Kinder können mit der richtigen Behandlung ein fast normales Erwachsenenleben führen.
Häufigkeit: Die infantile Zerebralparese ist in den häufigsten Fällen eine Mehrfachbehinderung. Insgesamt kommt sie bei etwa bei 0.2 %, also 2 von 1000, aller Lebendgeborenen vor. Insbesondere sind Frühgeborene betroffen, so dass sehr kleinen Frühchen etwa 100-300 mal häufiger an einer ICP leiden als am errechneten Termin geborene Babys.
Die Bewegungsstörung kann die Beine (Paraparese, 40 %), eine Körperhälfte (Hemiparese, 32 %) oder alle vier Extremitäten (Tetraparese, 2 %) betreffen. Die häufig im Zusammenhang mit infantiler Zerebralparese gebrauchten Begriffe der Para-, Hemi-, Di- oder Tetraplegie sind insofern ungenau und nicht zutreffend als eine Plegie eine vollständige Lähmung in der Regel im Rahmen einer Querschnittlähmung beschreibt.
Ursachen
Nachweisbare Ursachen für die Ausbildung einer ICP lassen sich nur bei etwa 50% der betroffenen Kinder finden.
Grundsätzlich ist der Verlauf der Erkrankung vom Zeitpunkt der Schädigung abhängig. Je früher die Schädigung im Schwangerschaftsverlauf auftritt, umso schwerwiegender sind die Folgen. Prinzipiell kann die zu Grunde liegende Hirnschädigung im Zeitraum des Schwangerschaftsbeginns bis zum Ende der Markreifung im 4. Lebensjahr liegen.
Unterschiedliche Ursachen können demnach zu verschiedenen Zeitpunkten des Schwangerschaftsverlaufes auftreten.
Pränatal, vor der Geburt, ca. 20% der Fälle
- Sauerstoffunterversorgung (Hypoxie)
- Vergiftungen (Intoxikationen) durch Medikamente, Alkohol, Kohlenmonoxid)
- Stoffwechselstörungen
- Infektionskrankheiten der Mutter (Röteln, Toxoplasmose)
- Mutterkuchenfehlfunktion (Plazentainsuffizienz)
- Genetische Störungen
Perinatal, während der Geburt, ca. 60% der Fälle
- Risikogeburten (Frühgeborene) mit Sauerstoffmangel
- Geburtstraumatische Schäden (Hirnblutungen)
- Nabelschnurverlegung
- Mutterkuchenlösung
Postnatal, nach der Geburt, ca. 20% der Fälle
- Hirngefäßverschlüsse (Thrombose, Embolien) als Folge von Infektionen
- Blutgruppenunverträglichkeit
- Infektionskrankheiten (Hirnhautentzündung)
- Schädel-Hirntrauma
In Folge der Schädigung kommt es zur Verhinderung der normalen Entwicklung und Ausprägung des Zentralnervensystems. Es besteht in erster Linie eine Entwicklungshemmung der Willkürmotorik mit einem Weiterbestehen der "primitiven" Reflexe (Frühkindliche Reflexe) und dem Auftreten krankhafter (pathologischer) Reflexe. Durch das Ausbleiben der Entwicklung physiologischer Reflexbahnen kommt es zu einer Hemmung und Verlangsamung der motorischen Entwicklung.
Symptome
Spastik
Bei der spastischen Zerebralparese ist der Muskeltonus erhöht, was oft zu steifen, ruckartigen Bewegungen führt. Sie ist ursächlich im motorischen Kortex lokalisiert, der für die Planung und Ausführung willkürlicher Bewegungen verantwortlich ist. Die spastische CP ist die häufigste Form der gesamten Zerebralparese und macht etwa 80 % der Fälle aus. Botulinumtoxin reduziert den Muskeltonus. Es kann dazu beitragen, den Bewegungsumfang zu erhöhen, was auch die Auswirkungen der CP auf die wachsenden Knochen der Kinder abmildern kann.
- Diplegie / Diparese
Hierbei sind die Beine stärker betroffen als die Arme. Die Intelligenz ist in der Regel normal entwickelt - Tetraplegie / Tetraparese
hier besteht eine generalisierte Lähmung aller 4 Extremitäten, sowie eine erheblich verzögerte motorische und geistige Entwicklung. Eine Gehfähigkeit wird nur bei 10% der Patienten erreicht. Insgesamt hat diese Form eine sehr ungünstige Prognose - Paraplegie
spastische Lähmung beider Beine - Bilaterale Hemiplegie
spastischer Parese aller vier Extremitäten mit Bevorzugung der Arme - Monoplegie
spastischer Parese einer Extremität - Triplegie
spastischer Parese von drei Extremitäten
Infolge der spastischen Lähmungen kommt es zur Gelenkversteifung, wobei insbesondere die langen Beugemuskeln und die Adduktoren von der Spastik betroffen sind. So lassen sich typische klinische Bilder der einzelnen Gelenke beschreiben:
- die Hüfte steht angewinkelt gebeugt und nach innen gedreht (Adduktion, Flexion, Innenrotation)
- Ellenbogen, Handgelenk, Finger und Kniegelenk neigen zur Beugeversteifung (Beugekontraktur)
- der Unterarm ist gebeugt und der Daumen ist nach innen gedreht (Pronationsstellung)
- das Sprunggelenk und der Fuß stehen in Spitzfussstellung
- die Wirbelsäule zeigt hochgradige Skoliose (Verkrümmung)
Ataxie
Die ataktische Zerebralparese wird in etwa 5-10 % aller Fälle von Zerebralparese beobachtet. Sie wird durch eine Schädigung der Kleinhirnstrukturen verursacht, das für die Koordination der Muskelbewegungen und des Gleichgewichts unerlässlich ist. Der Muskeltonus ist herabsetzt. Die häufigste Manifestation ist der Intentions-(Aktions-)Tremor, der sich besonders bei der Ausführung präziser Bewegungen bemerkbar macht, z. B. beim Binden von Schnürsenkeln oder beim Schreiben mit einem Bleistift. Dieses Symptom verschlimmert sich zunehmend, je länger die Bewegung andauert, so dass die Hand zittert. Je näher die Hand der Ausführung der beabsichtigten Aufgabe kommt, desto stärker wird das Zittern, was die Ausführung der Aufgabe noch schwieriger macht.
- Koordination- und Gleichgewichtsstörungen auf Grund einer Kleinhirnschädigung
- Sprachstörungen, Gleichgewichtsstörungen, Tremor (Schütteln), Dysmetrie und Asynergien (Störung der feinen Muskelbewegungen)
- Hypotonen (schwachen) Muskelspannungen
Dyskinesie
Die dyskinetische Zerebralparese (manchmal mit DCP abgekürzt) ist in erster Linie mit einer Schädigung der Basalganglien und der Substantia nigra verbunden. Die DCP ist sowohl durch Hypertonie als auch durch Hypotonie gekennzeichnet, was auf die Unfähigkeit der betroffenen Person zurückzuführen ist, den Muskeltonus zu kontrollieren. Die klinische Diagnose der DCP erfolgt typischerweise innerhalb von 18 Monaten nach der Geburt und basiert in erster Linie auf motorischen Funktionen und bildgebenden Verfahren. Sie kann in 2 Gruppen unterteilt werden: Choreo-Athetose und Dystonie. Die choreoathetotische CP ist durch unwillkürliche Bewegungen gekennzeichnet, während die dystonische CP durch langsame, starke Kontraktionen gekennzeichnet ist, die lokal auftreten oder den ganzen Körper umfassen können. Die dyskinetischen Syndrome treten in 10% der Fälle mit fast immer beidseitigen Bewegungsstörungen in folgender Weise auf:
- wurmartige, unkontrollierte und unwillkürliche Bewegungsabläufe (Athetosen, Choreoathetosen) und Tremor (Schütteln)
- mangelnde Kontrolle der Mimik, häufiges Grimassieren
- Überdehnung der Gelenkapseln
Diverse
Neben diesen drei beschriebenen Syndromen leiden die Kinder häufig noch unter zusätzlichen Störungen wie:
- Krampfanfällen (Epilepsie) mit einer Häufigkeit von 30-50% sind sie besonders häufig bei nach der Geburt erworbener ICP
- Psychischen Störungen mit Wesensveränderung, Verhaltensstörungen und Intelligenzdefekten. Die Hälfte aller Kinder hat jedoch keine oder nur eine äußerst diskrete Intelligenzstörungen
- Augensymptome (Schielen)
- Hör- und Sprachstörungen
- Minderwuchs und Muskelschwund der betroffenen Extremität
Gangbild
Bei der Zerebralparese führt das ungleiche Wachstum zwischen Muskel-Sehnen-Einheiten und Knochen schließlich zu Knochen- und Gelenkdeformitäten.
Diese führen zu zunehmenden Gangstörungen in Form von Zehenspitzengang, bedingt durch eine Verspannung der Achillessehne, und Scherengang, bedingt durch eine Verspannung der Hüftadduktoren. Diese Gangmuster gehören zu den häufigsten Ganganomalien. Die orthopädischen Manifestationen der Zerebralparese sind jedoch vielfältig. Darüber hinaus ist der Hockgang - ein übermäßiger Kniebeugegang - bei Kindern, die die Fähigkeit zu gehen besitzen, weit verbreitet.
Diagnose
Ziel der Untersuchung ist es, den Entwicklungszustand des Kindes zu beschreiben. Hierzu können objektive Kriterien wie der "Denver Developmental Screening Test", aber auch eine ausführliche Beobachtung und Untersuchung der motorischen Fähigkeit des Kindes dienen.
Ein abnormaler Muskeltonus, eine verzögerte motorische Entwicklung und das Fortbestehen primitiver Reflexe sind die wichtigsten Frühsymptome der ICP. Symptome und Diagnose treten typischerweise im Alter von 2 Jahren auf, obwohl Personen mit milderen Formen der Zerebralparese über 5 Jahre alt sein können, wenn nicht sogar im Erwachsenenalter, wenn sie schließlich diagnostiziert werden.
Sobald ein Verdacht auf Zerebralparese besteht, sind weitere diagnostische Tests angebracht. Eine neurologische Untersuchung mit CT oder MRT kann Klarheit schaffen. Ein MRT wird aufgrund der diagnostischen Ausbeute und Sicherheit dem CT vorgezogen. Die Neuroimaging-Untersuchung ist auch in der Lage, behandelbare Zustände aufzudecken, wie z. B. Hydrozephalus, Porencephalie, arteriovenöse Malformation, subdurale Hämatome und Hygrome sowie einen Vermian-Tumor (die laut einiger Studien in 5-22 % der Fälle vorhanden sind).
Je früher ICP diagnostiziert wird, desto besser sind die Möglichkeiten, dem Kind körperliche und schulische Hilfe zukommen zu lassen, aber es besteht eine größere Chance, ICP mit einem anderen Problem zu verwechseln, besonders wenn das Kind 18 Monate oder jünger ist. Säuglinge können vorübergehende Probleme mit dem Muskeltonus oder der Muskelkontrolle haben, die mit ICP verwechselt werden können. Eine Stoffwechselstörung oder Tumore im Nervensystem können wie ICP aussehen. In Großbritannien wird es als klinisches Zeichen für eine weitere Überwachung angesehen, wenn das Kind im Alter von 8 Monaten noch nicht selbstständig sitzen kann. Das Fragile-X-Syndrom (eine Ursache für Autismus und geistige Behinderung) und eine allgemeine geistige Behinderung müssen ebenfalls ausgeschlossen werden.
Röntgenaufnahmen zeigen in bis zu 75% Veränderungen des Knochenwachstums. Hierbei steht insbesondere eine Verlangsamung der Knochenkernentwicklung im Vordergrund. Häufig lässt sich im Röntgenbild auch eine Skoliose nachweisen.
Therapie
Eine multidisziplinäre Therapie aus unterschiedlichen medizinischen und therapeutischen Bereichen steht im Mittelpunkt der Behandlung der infantilen Zerebralparese. Eine kausale, also die Erkrankung heilende Therapie ist auf Grund der schon eingetretenen und abgeschlossenen Hirnschädigung nicht möglich.
Konservative Therapie
Die konservative Therapie umfasst ein großes Spektrum der Rehabilitationsmedizin.
- Physiotherapie
Durch die Therapie sowohl nach dem Bobath-Konzept als auch nach der Vojta-Therapie und dem Konzept der Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation (PNF) sollen möglichst normale Bewegungsabläufe im Gehirn gespeichert und zu eigenständigen Handlungsabläufen genutzt werden. Nach aktuellem Kenntnisstand werden durch die krankengymnastischen Methoden motorische Lernprogramme vermittelt. Dies erfolgt am effektivsten durch aktives, wiederholtes Üben sinnvoller Aufgaben. - Ergotherapie
Anleitung zur Selbsthilfe, in speziellen Arbeits- und Schreibhilfen sowie in einer gezielten Therapie für die meist schwer gestörte Sensomotorik der Hände. - Orthesen
Die Orthopädietechnik besteht vor allem in einer Kontrakturprophylaxe sowie in einer Gelenkstabilisierung durch Funktionsschienen, Steh-, Geh-, Sitz- und Greifhilfen. - Logopädie
Um Schluckstörungen als auch Sprechstörungen zu behandeln. - Medikamente
Als Medikamente haben sich Antispastika, Myotonolytika und Anticholinergika zur Behandlung der spastischen Komponente sowie Tranquilizer und Psychopharmaka bei begleitenden psychischen Störungen und Unruhezuständen bewährt.
Operationen
Im Vordergrund der operativen Therapie steht die Korrektur und Prophylaxe von Kontrakturen und Deformitäten, sowie die größtmögliche Herstellung des Muskelgleichgewichts zur weitergehenden Verhinderung pathologischer Bewegungsmuster.
- Sehnenverlängerung (Tenotomie) und Muskeleinkerbung (Myotomie), sowie Muskelursprungsverlagerung; Ziel dieser Behandlung ist die Beseitigung der Kontraktur unter Schonung der Spannung der Muskulatur. Weiterhin kommen eine Achillessehnenverlängerung und Hüftbeugekontraktur zur Anwendung
- Nervendurchtrennung (Neurotomie); sie dient der Behandlung schwerster spastischer Kontrakturen, insbesondere bei Gehunfähigkeit. Hierdurch wird irreversibel eine spastische in eine schlaffe Parese (Lähmung) umgewandelt
- Knochenumstellungen (Osteotomie); sie kommen häufig zum Einsatz wenn bereits Deformitäten der Gelenke eingetreten sind und eine einfache Sehenverlängerung keinen weiteren therapeutischen Nutzen bringt
- Gelenkversteifung (Arthrodesen); sie führt zu permanenten Korrekturen im Bereich instabiler Gelenke
Siehe auch