Cholecalciferol (auch Colecalciferol oder kurz Calciol), Vitamin D3 ist das physiologisch in allen nicht-pflanzlichen Eukaryoten, und so auch im Menschen, vorkommende Vitamin D. Da das Secosteroid im Körper mit Hilfe von ultraviolettem Licht (UV-B) in der Haut aus 7-Dehydrocholesterol gebildet werden kann, ist der historische Begriff Vitamin der Definition nach nicht völlig zutreffend. In der Nahrung kommt es im Wesentlichen in Fettfischen vor oder wird den Lebensmitteln als Nahrungsergänzungsmittel zugefügt. Es hat im Körper die Funktion eines Prohormons und wird über eine Zwischenstufe zu dem Hormon Calcitriol umgewandelt.
Vitamin D spielt eine wesentliche Rolle bei der Regulierung des Calcium-Spiegels im Blut und beim Knochenaufbau. Ein Vitamin-D-Mangel führt mittelfristig bei Kindern zu Rachitis und bei Erwachsenen zu Osteomalazie.
Seit den 1990er Jahren wurde gezeigt, dass das Vitamin-D-System in verschiedenen anderen Geweben im Wesentlichen autokrine Funktionen hat, welche die Zelldifferenzierung, die Hemmung der Zellproliferation, die Apoptose, die Immunmodulation und die Kontrolle anderer hormonaler Systeme umfasst. Eine Unterversorgung mit Vitamin-D scheint nach bisherigen Untersuchungen ein Risikofaktor für folgende Erkrankungen zu sein:
- Autoimmunkrankheiten (wie z. B. Multiple Sklerose, Morbus Crohn, Diabetes mellitus Typ 1, Systemischer Lupus erythematodes)
- Infektionskrankheiten wie Tuberkulose oder Atemwegsinfekte
- Bluthochdruck
- Vitamin D und Calcium sind protektiv bezüglich Dickdarmkrebs
- Eine Vielzahl weiterer Krebsarten, wie z. B. Brustkrebs, Leukämie, Nierenkrebs, Ovarialkarzinom, Pankreaskarzinom, sowie Karzinome des Halses, des Kopfes und des Oesophagus.
- Osteopenie und Osteoporose
- Durch Supplementation von Vitamin D lässt sich die Anzahl der Knochenbrüche bei Stürzen von Menschen über 65 Jahren reduzieren. Die Einnahme von 700 bis 1000 IE reduzierte die Knochenbruchrate um 19 Prozent. Serumspiegel von unter 60 nmol/l Vitamin 25 OH hatten keinen Schutzeffekt.
- Kardiovaskuläre Erkrankungen
- Metabolisches Syndrom
- Allgemein erhöhte Sterblichkeit
- Muskelschwäche und -schmerzen und Fibromyalgie
- Demenz und Parkinson-Krankheit
- Hirnleistungsstörung
- Parodontitis bei Schwangeren.
Die Beeinflussung dieses Risikofaktors Vitamin-D-Mangel durch landesweite Supplementierung lässt in der Summe eine Reduktion der Mortalität erwarten (Hochrechnung für Deutschland)..
Ferner ist das Vitamin-D-System wichtig für die Entwicklung und Funktion des Nerven- und Muskelsystems. Das Syndrom des akuten Vitamin-D-Mangels ist in seinem Vollbild durch Myalgie, Adynamie, neurologische Störungen, Orthostatische Dysregulation und Skelettbeschwerden charakterisiert (Akronym M-A-N-O-S)
Es gibt Studien, die eine Supplementierung mit Vitamin D im Zusammenhang mit der Entstehung von Allergien bringen. Ob das auch für andere Autoimmunerkrankungen gilt, ist umstritten zumal die Begründung auf Seiten der wissenschaftlichen Medizin als wenig plausibel erscheint . Allerdings ist die wirkungsvolle Therapie von Allergien durch Vitamin-D-erzeugende UVB-Strahlen kein Gegenargument, da sich die orale Aufnahme pharmakologisch erheblich von der endogenen Produktion in der Haut unterscheidet
Formen von Vitamin D
Neben Vitamin D3 werden die folgenden Substanzen aus der Vitamin D-Klasse unterschieden:
- Vitamin D1: Verbindung von Ergocalciferol (D2) und Lumisterol, 1:1
- Vitamin D2: Calciferol, genauer: Ergocalciferol (synthetisiert aus Ergosterol)
- Vitamin D4: 22,23-Dihydroergocalciferol (gesättigte Form von Vitamin D2)
- Vitamin D5: Sitocalciferol (synthetisiert aus 7-Dehydrositosterol)
Physiologie
Biosynthese von Vitamin-D3
Die meisten Wirbeltiere, einschließlich des Menschen, decken einen Großteil ihres Vitamin-D-Bedarfs durch Sonnenbestrahlung ihrer Haut; dies kommt auch bei bestimmten Planktonarten vor (Phytoplankton coccolithophor Emeliani huxleii).
Definitionsgemäß sind Vitamine Substanzen, die der Körper selbst nicht herstellen kann, aber zum Leben benötigt, und die daher zugeführt werden müssen. Die Vorstufen des sogenannten Vitamin D werden aber vom Körper selbst hergestellt. Zum im Körper vorhandenen Provitamin 7-Dehydrocholesterol (der Ausgangssubstanz der Vitamin-D-Synthese) muss dann allerdings noch Sonnenlicht hinzukommen. Vitamin D3 wird also aus historischen Gründen als Vitamin bezeichnet. Aufgrund seiner endogenen Synthese und der Tatsache, dass seine Wirkung neben dem Syntheseort auch andere Gewebe betrifft, müsste Vitamin D3 als Prohormon bezeichnet werden.
Lichtinduzierte Bildung
In der Haut sind die höchsten Konzentrationen des 7-Dehydrocholesterols im Stratum spinosum und Stratum basale vorhanden. Beim Menschen und den meisten Säugetieren ist 7-Dehydrocholesterol für die Vitamin-D-Bildung reichlich vorhanden (eine Ausnahme sind z. B. Hauskatzen).
- Wird 7-Dehydrocholesterol mit UV-Licht mit Wellenlängen im Bereich 290–315 nm und mindestens 18 mJ/cm2 bestrahlt, kann im 7-Dehydrocholesterol durch eine photochemisch induzierte 6-Elektronen konrotatorische elektrocyclische Reaktion der B-Ring aufgebrochen werden: Es entsteht Prävitamin D3.
- Das Prävitamin D3 ist thermodynamisch instabil und erfährt einen (1-7)sigmatropen Shift eines Protons von C-19 nach C-9 mit nachfolgender Isomerisation: Es entsteht Vitamin D3. Das Vitamin D3 gelangt in das Blut und wird dort vor allem an das Vitamin-D-bindende Protein (DBP) gebunden zur Leber transportiert, wo es weiter zu 25(OH)Vitamin D3 hydroxyliert wird. Im Reagenzglas sind 80 % des Prävitamin D3 zu Vitamin D3 innerhalb von 3 Tagen isomerisiert, in der Haut ist dies nach 8 Stunden geschehen.
Selbstregulation der lichtinduzierten Synthese
Wenn eine bestimmte Menge 7-Dehydrocholesterol im Reagenzglasversuch mit simuliertem äquatorialem Sonnenlicht bestrahlt wird, ist nach einigen Minuten ca. 20 % der Ausgangsmenge zu Prävitamin D3 umgewandelt. Diese Menge an Prävitamin D3 bleibt bei weiterer Bestrahlung in einem konstanten Gleichgewicht, denn auch Prävitamin D3 ist photolabil und wird durch weitergehende UVB-Bestrahlung während der nächsten 8 Stunden zu dem physiologisch inaktiven Lumisterol und zu Tachysterol abgebaut, bevor es zu Vitamin D3 isomerisiert. In dieser Zeit sinkt das 7-Dehydrocholesterol auf ca. 30 % der Ausgangsmenge ab. (Unter unnatürlicher Schmalspektrum-UVB-Bestrahlung mit einer Wellenlänge von 290 bis 300 nm wird dagegen 65 % des ursprünglichen 7-Dehydrocholesterols in Prävitamin D3 umgewandelt).
Auch das aus Prävitamin D3 entstandene Vitamin D3 ist photolabil: Kann das Vitamin D3 nicht schnell genug im Blut abtransportiert werden, entstehen aus ihm durch UVB- und UVA-Strahlung (bis zu 345 nm) mindestens drei weitere, unwirksame, Produkte: Suprasterol-1 und -2 und 5,6-Transvitamin D3.
So wird bei einer kurzen Sonnenlichtbestrahlung (mit genügend hohem UVB-Anteil) über einige Minuten ähnlich viel Vitamin D3 gebildet wie bei einer vergleichbaren Bestrahlung über längere Zeit. Hierdurch ist der Körper kurzfristig vor einer Vitamin-D-Intoxikation durch zu viel Licht geschützt.
Langfristig ergibt sich ein Schutz vor einer Vitamin-D-Intoxikation durch eine vermehrte Bildung von Melanin in der Haut, welches UV-Licht der Wellenlängen 290–320 nm resorbiert (Bräunung, dunkler Hauttyp in südlichen Ländern).
Der 7-Dehydrocholesterolgehalt der Haut sinkt mit dem Alter. Ferner nimmt beim Menschen im Alter die Fähigkeit der Haut, Vitamin D3 zu bilden, ungefähr um den Faktor 3 ab im Vergleich zu einem 20-jährigen Menschen.
Für die blasse Haut eines hellhäutigen, jungen, erwachsenen Menschen ist die minimale Erythemdosis (MED) (wenn die Haut anfängt, rot zu werden) an einem sonnigen Sommermittag auf 42° Breite in Meereshöhe (entsprechend Boston, Barcelona oder Rom) nach 10 bis 12 Minuten erreicht, ein dunkelhäutiger Mensch benötigt entsprechend 120 Minuten. Wird die Haut dieser Menschen entsprechend ganzkörperbestrahlt, gibt sie innerhalb der nächsten 24 Stunden eine Menge vergleichbar mit 10.000 bis 20.000 IE (250 µg bis 500 µg) Vitamin D3 aus Nahrungsmitteln an das Blut ab, ein Vielfaches der Nahrungsempfehlungen von 200–500 IE Vitamin D3 täglich. Eine starke Vitamin-D3-Bildung in der Haut ist also schon bei einer kurzen, aber intensiven Sonnenbestrahlung mit hohem UVB-Anteil möglich.
Funktion
Vitamin D3
Vitamin D3 wird, vor allem gebunden an das Vitamin-D-bindende Protein, über das Blut in die Leber transportiert. Dort wird es von dem Enzym Cytochrom P450 2R1 in den Mikrosomen zu Calcidiol (25(OH)Vitamin D3) hydroxyliert. Eine frühere Vermutung, dass diese Reaktion auch in den Mitochondrien stattfindet, wurde inzwischen widerlegt.
Calcidiol (25(OH)Vitamin-D3) wird in der Leber wieder an Vitamin-D-bindendes Protein gebunden, in das Blut abgegeben, und hat dort eine Halbwertzeit von ca. 19 Tagen.
Diese enzymatische Reaktion ist wahrscheinlich keiner nennenswerten Regulation unterworfen, da der 25(OH)Vitamin-D3-Spiegel im Blut ziemlich genau die längerfristige Vitamin-D3-Versorgung der letzten 3–4 Monate widerspiegelt, während der Vitamin-D3-Spiegel die Versorgung der letzten Stunden bis Tage anzeigt.
25(OH)Vitamin D3
25(OH)Vitamin D3 ist also so etwas wie eine Speicherform des Vitamin D3. Eine solche muss es geben, um die großen Spitzen und Pausen der hauptsächlichen Vitamin-D-Versorgung durch das Licht abfangen zu können. Die mittel- bis längerfristige Vitamin-D-Versorgung eines Organismus lässt sich am besten über den Blutspiegel des 25(OH)Vitamin D3 bestimmen (näheres siehe unten).
Das so gebildete 25(OH)D3 gelangt nun, hauptsächlich wieder an das Vitamin-D-bindende Protein gebunden, zu seinen Zielgeweben, wie zum Beispiel zu den Nieren, wo es dann zum Calcitriol (1α,25(OH)2Vitamin D3) aktiviert wird (siehe unten). Dieses erst ist der hauptsächlich aktivierende Ligand für den Vitamin-D-Rezeptor. Dieser letzte Aktivierungsschritt ist auf vielen Ebenen redundant und von Gewebe zu Gewebe unterschiedlich reguliert, um immer an den momentanen Bedarf des Körpers und des Zielgewebes an die Vitamin-D-Wirkung angepasst zu sein.
25(OH)Vitamin D3 kann wahrscheinlich selbst auch, jedoch ca. 100 mal weniger als Calcitriol, den Vitamin-D-Rezeptor aktivieren. Dies kommt bei einer Vergiftung mit Vitamin D3 zum Tragen, wenn die letzte Regelung der Aktivierung des Vitamin D3 durch überhöhte 25(OH)Vitamin-D3-Spiegel übergangen wird.
Aktivierung von 25(OH)Vitamin D3 zu Calcitriol
Die Vitamin-D-Metabolite werden als Komplex zusammen mit dem Vitamin-D-bindenden Protein (VDBP) im Blutplasma transportiert. In den Glomerula der Nieren bindet dieser Komplex an Cubilin-Moleküle in der Zellmembran von proximalen Tubuluszellen, und wird anschließend mithilfe des Megalins in die Zelle verfrachtet und dort freigesetzt. In den Lysosomen wird der Komplex durch Peptidasen wieder getrennt, wodurch 25(OH)Vitamin D3 frei im Zytosol diffundiert.
An der Plasmamembran der Mitochondrien der Zellen des proximalen Tubulus der Nieren kann das 25(OH)Vitamin D3 durch 1α-Hydroxylase zum biologisch aktiven 1,25(OH)2Vitamin D3 (Calcitriol) weiter hydroxyliert, oder durch die gegensätzlich regulierte 24-Hydroxylase zum 24R,25(OH)2Vitamin D3 inaktiviert werden oder die Nierenzelle unverändert wieder in das Blut verlassen (um dort erneut an DBP gebunden zu werden).
Die Bildung des 1,25(OH)2Vitamin D3 in der Niere ist fein reguliert: die wichtigsten Faktoren, die seine enzymatische Bildung über eine Aktivierung der 1α-Hydroxylase direkt fördern sind unabhängig voneinander ein erhöhtes Parathormon, ein erniedrigter Calciumspiegel und ein niedriger Phosphatspiegel im Blut. 1,25(OH)2D3 selber hemmt die 1α-Hydroxylase und aktiviert die 24-Hydroxylase. Indirekt, zumeist über das Parathormon, beeinflussen unter anderem Calcium, Östrogen, Glucocorticoide, Calcitonin, Somatotropin, und Prolactin die Calcitriolbildung. Glucocorticoide bewirken einen Mangel an Calcitriol. (Deshalb ist es während einer systemischen Corticoidtherapie, wenn Vitamin D genommen werden muss, notwendig, Vitamin D in aktiver Form als Alphacalcidol (derzeitige Medikamente in Deutschland: „EinsAlpha“, „Bondiol“, „Doss“), zu verwenden.) All diese Regulationen dienen dazu, gerade soviel des Vitamins zu synthetisieren, dass der Körper in seiner momentanen Situation seinen Calcium- und Phosphatbedarf decken kann. Die Regulation der 24R,25(OH)2D3-Bildung erfolgt durch die gleichen Faktoren, jedoch in umgekehrter Richtung.
In anderen Geweben wird die Aktivierung des 25(OH)Vitamin D3 zu 1α,25(OH)2Vitamin D3 durch andere Faktoren geregelt: Zytokine, Wachstumsfaktoren usw.
1,25(OH)2D3 liegt in sehr viel geringerer Konzentration als 25(OH)D3 und auch hauptsächlich an DBP gebunden im Blut vor. Die Konzentration insbesondere von freiem 1,25(OH)2D3 (Calcitriol) ist streng geregelt und weitgehend mit seiner Aktivität korreliert. Sie ist ferner weitgehend unabhängig von der Konzentration seines Vorläufers 25-Hydroxy-Cholecalciferol (Calcidiol) oder des VDBP.
Funktion von Calcitriol
In den Zellen der Zielorgane wirkt 1,25(OH)2D3 (Calcitriol) wie ein Steroidhormon: Es wird an ein intrazelluläres Rezeptorprotein, den Vitamin-D-Rezeptor (VDR) gebunden und in den Zellkern transportiert. Dort assoziiert der Vitamin-Rezeptor-Komplex an die DNA und verändert die Transkription verschiedener hormonsensitiver Gene, was schließlich zu Änderungen in der Proteinsynthese mit entsprechenden biologischen Wirkungen führt.
Abbau von Vitamin-D3
1,25(OH)2D3 (Calcitriol) wird durch 24-Hydroxylase zur wasserlöslichen Calcitroinsäure abgebaut, die über die Galle ausgeschieden wird. Die 24-Hydroxylase wird durch das Gen CYP24A1 codiert.
Vitamin-D-Stoffwechsel bei Erkrankungen
Patienten mit Tuberkulose, Sarkoidose und anderen granulomatösen Erkrankungen und gelegentlich auch Krebserkrankungen aktivieren das 25(OH)Vitamin D3 z. B. in den Makrophagen stärker zu 1,25(OH)2Vitamin D3 und können so funktionell in eine Vitamin-D-Hypervitaminose mit Hypercalcämie kommen. Dem liegt ein ursprünglich zumeist sinnvoller Mechanismus der Immunologie zugrunde (näheres siehe unter Calcitriol).
Patienten mit Williams-Beuren-Syndrom haben zu 15 % eine Hypercalcämie. Es gab viele Vermutungen zu einem Zusammenhang mit dem Vitamin-D-Stoffwechsel, die Ergebnisse entsprechender Beobachtungen waren jedoch widersprüchlich.
Bei Patienten mit Smith-Lemli-Opitz-Syndrom ist der Abbau des Vitamin-D-Vorläufers 7-Dehydrocholesterols zu Cholesterin durch Mutationen in der 7-Dehydrocholesterol-Reduktase gestört. In ihrem Stoffwechsel staut sich zwar das 7-Dehydrocholesterol; ihre Haut ist manchmal photosensibel, aber ihr Vitamin-D-Status ist dennoch vergleichbar mit der Normalbevölkerung.
Bei der "Idiopathischen infantilen Hyperkalzämie“ handelt es sich um eine Mutationen im Gen CYP24A1, wodurch der Abbau von Vitamin D gehemmt wird. Betroffene Kinder entwickeln unter Vitamin D-Substitution eine schwere Hyperkalzämie mit Wachstumsverzögerung, Erbrechen, Dehydratation, Fieberschüben und Nephrokalzinose.
Aufnahme von Vitamin D3 aus der Nahrung
Vitamin D3 ist kein gewöhnlicher Nahrungsbestandteil, denn die natürliche Zufuhr entspräche derjenigen der Produktion nach Bestrahlung mit UVB-Licht, das auf die Haut afrikanischer Homo sapiens ohne moderne Bekleidung einwirkte. Erst in den letzten 10 Jahren wird zunehmend erkannt, mit welchen Zivilisationskrankheiten (außer der Rachitis und Osteomalazie) der endemische Lichtmangel der modernen Gesellschaften einhergeht (siehe unter Calcitriol). Daher wird der öffentlich zu empfehlende Tagesbedarf (RDA) an Vitamin D3 unter Wissenschaftlern und Verantwortlichen für die Gesundheitsversorgung lebhaft diskutiert. Die derzeitigen Empfehlungen werden von Forschern auf dem Gebiet als entweder irrelevant (für ausreichend UVB-lichtexponierte Personen) oder unzureichend (für die Mehrzahl der Bevölkerung in zivilisierten Gesellschaften höherer Breiten) angesehen.
Der Bedarf von Vitamin D über die Nahrung wird umso größer, je kürzer die Zeit ist, die ein Mensch draußen verbringt. Dabei ist die Synthese in der Haut nicht unbedingt proportional zu deren Sonnenexpositionszeit, sondern hängt unter anderem auch ab vom Gehalt der Haut an der Vorstufe 7-DHC. Die zunehmende Verwendung von Sonnenschutzcreme vermindert darüber hinaus auch bei Aufenthalten in der Sonne die Synthese von Vitamin D. Daher ist das Argument, die Aufnahme von Vitamin D sei neben der Eigenproduktion nur von sekundärer Bedeutung, nicht zutreffend. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat Richtwerte für die Vitamin-D-Menge angegeben, die alimentär (das heißt durch Nahrungszufuhr) abgedeckt werden sollte.
Die DGE empfiehlt für Säuglinge im ersten Lebensjahr sowie für Senioren ab dem 65. Lebensjahr täglich 10 µg und für die anderen Kinder und Erwachsenen 5 µg Vitamin D3. In Deutschland werden den meisten Säuglingen im ersten Lebensjahr und eventuell noch im zweiten Winter täglich eine Tablette mit 12,5 µg Vitamin D3 (500 IE) zur Rachitisprophylaxe gegeben.
In Europa gelten zum Teil höhere Referenzwerte für Kinder und Jugendliche. In offiziellen Empfehlungen sind die Angaben zur maximalen täglichen Zufuhr beispielsweise für die Altersgruppe von 4 bis 10 Jahren doppelt so hoch, für die Altersgruppe der 11 bis 17-jährigen dreimal so hoch: Säuglinge (6–11 Monate): 10–25 µg pro Tag, Kleinkinder (1–3 Jahre): 10 µg pro Tag, Kinder (4–10 Jahre): 0–10 µg pro Tag und Jugendliche (11–17 Jahre): 0–15 µg pro Tag.
Aktuelle Leitlinien in den USA empfehlen 5 µg (200 IE) täglich für Kinder und jüngere Erwachsene, 10 µg für 50–70-Jährige und 15 µg für über 70-Jährige.
Im Winter sind lediglich 500–1000 IE nötig, weil der Rest des Bedarfs hierfür aus den körpereigenen Speichern gedeckt wird.
Man hat abgeschätzt, dass die tägliche Zufuhr von 1 IE Vitamin D3 bei Erwachsenen den 25(OH)Vitamin-D3-Spiegel im Blut um ca. 0,007 ng/ml steigert (unterschiedlich je nach Vitamin-D-Status). Es bedarf bei ca. 80 kg schweren Erwachsenen täglich ca. 114 µg (4600 IE) Vitamin D3, um einen ausreichenden 25(OH)Vitamin-D3-Spiegel von 80 nmol/l = 32 ng/ml im Blut langfristig zu halten, sofern keine Vitamin-D-Bildung durch Licht hinzukommt.
Wenn eine stillende Mutter täglich 100 µg = 4000 IE Vitamin D einnimmt (wenn sie keinem UVB-Licht ausgesetzt ist), erscheint in ihrer Muttermilch genug Vitamin-D-Aktivität, dass der Säugling vor einem Vitamin-D-Mangel ohne weitere Zufuhr sicher geschützt ist. Bei 50 µg = 2000 IE ist dies noch nicht sicher der Fall (die Anzahl der untersuchten Frauen war aber gering).
Vitamin D in Muttermilch
Der Muttermilchgehalt an Vitamin-D-wirksamen Komponenten ist bemerkenswert knapp. Er ist sehr von dem Vitamin-D-Status der Mutter abhängig. Bereits hydroxyliertes 25(OH)Vitamin D3 macht den größten Anteil der antirachitischen Aktivität der Muttermilch aus. Der Vitamin-D-Gehalt in der fetthaltigeren Hintermilch (die der Säugling zuletzt trinkt) ist größer als in der Vordermilch. Wenn die in höheren Breiten lebenden Mütter 50 µg (2000 IE) Vitamin D3 täglich im Winter einnehmen, erreicht ihre Muttermilch die antirachitische Aktivität unsupplementierter Mütter im Sommer, die Antwort ist jedoch individuell sehr unterschiedlich.
Haben Mütter einen für sie subklinischen Vitamin-D-Mangel (wie die meisten Frauen in zivilisierten Gesellschaften fernab des Äquators im Winter und vor allem auch in islamischen Gesellschaften), so haben die Säuglinge ein wesentlich höheres Risiko, rasch einen relevanten Vitamin-D-Mangel zu entwickeln. So wird in einer kürzlich vom „National Institute of Child Health and Human Development“ in den USA durchgeführten und im „The Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine“ im Juni 2008 erschienenen Studie behauptet, dass in den USA im Winter bis zu 78 % von mit Muttermilch gestillten Babys im Winter an Vitamin-D-Mangel leiden könnten. Insgesamt scheint aber auch für den Säugling die Bildung des Vitamin D3 in der Haut den natürlichen Hauptrachitisschutz darzustellen.
Möglicherweise geht das aktuell im Blut der Mutter vorhandene Vitamin D3 wesentlich besser in die Muttermilch über (30–80 %) als das bereits hydroxylierte 25(OH)Vitamin D3 (0,5 %); ob dies so stimmt, wird noch erforscht.
Vitamin D3 in Nahrungsmitteln
Unter nicht immer und überall gegebenen optimalen Bedingungen (siehe oben) kann die Haut eines jungen erwachsenen Menschen 10.000 bis 20.000 IE (also 250 bis 500 µg) Vitamin D täglich bilden. Dagegen enthalten nur wenige Nahrungsmittel Vitamin D3 in vergleichbaren Mengen. Es findet sich vor allem in Fettfischen, Innereien, Pilzen, Eiern und in begrenztem Maße auch in Milchprodukten.
In Pilzen (z.B. Hefen) ist das Mycosterin Ergosterin enthalten, welches sich bei ausreichender UV-Licht-Bestrahlung in biologisch aktives Ergocalciferol (Vitamin D2) umwandeln kann. Auch andere Pflanzen enthalten dies in Spuren.
Der Vitamin-D3-Gehalt einiger ausgewählter Lebensmittel zeigt die meistens geringe Rolle der Nahrung für die Vitamin-D-Versorgung (1 µg entspricht 40 IE):
Nahrungsmittel | µg/100 g | Referenz |
---|---|---|
Lebertran | 300 | ? |
Räucheraal | 21 | |
Lachs | 16 | |
Sardine | 11 | |
Kalbfleisch | 3,8 | ? |
Hühnerei | 2,9 | |
Champignons | 1,9 | |
Leber (Rind) | 1,7 | ? |
Butter | 1,2 | |
Sahne | 1,1 | ? |
Emmentaler | 1,1 | |
Gorgonzola | 1 | |
Edamer 40% Fett i. Tr. | 0,29 | |
Speisequark 40% Fett i. Tr. | 0,19 | |
Vollmilch mind. 3,5% Fett | 0,088 | |
Joghurt mind. 3,5% Fett | 0,062 | |
industriell hergestellte Säuglingsmilch in Deutschland | 1–2 µg/100 kcal | |
Muttermilch | 0,01–0,12 | |
Avocado | 3,43 |
Bei den Angaben muss berücksichtigt werden, dass nicht alle Lebensmittel in gleicher Menge konsumiert werden. Lebertran ist zwar eine reichhaltige Vitamin-D-Quelle, wird aber bekanntlich nur in ausgesprochen geringen Mengen verzehrt. Auf der Basis dieser Daten können neben fettreichen Fischen auch Pilze, Milchprodukte und angereicherte Speisefette einen guten Beitrag zur Vitamin D3-Versorgung leisten.
Die EsKiMo-Studie hat zwischen 2003 und 2006 das Ernährungsverhalten von 2500 Kindern im Alter von 6 bis 11 Jahren in ganz Deutschland untersucht. Dabei wurde für die tägliche Vitamin D3-Aufnahme der niedrigste Wert aller untersuchten Nährstoffe in Bezug zum jeweils empfohlenen Wert gemessen. Demnach beträgt die tatsächliche Vitamin D3-Aufnahme nur etwa 30% der DGE-Empfehlung. Die Autoren folgern: „Die Zufuhr an Vitamin D ist … suboptimal und kann bei Kindern, die sich kaum im Freien aufhalten, schnell zu einer echten Mangelsituation mit langfristig negativen Folgen für die Knochengesundheit führen.“ Die im September 2008 veröffentlichte DONALD-Ernährungsstudie vom Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) bestätigte die Vitamin-D3-Unterversorgung bei Kindern. Bei den 598 Studienteilnehmern im Alter von 1 bis 12 Jahren ergab die Auswertung nach Einzelprotokollen, dass acht von zehn Kindern die Empfehlung der DGE für Vitamin D nicht erreichen.
Bislang wurde hierzulande neben industriell hergestellter Säuglingsmilch nur Margarine mit 2,5 µg Vitamin D3 pro 100 g angereichert, um eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Dagegen ist das fettlösliche Vitamin nicht in fertigen Multivitaminsäften erhältlich, sondern nur in (Brause-)Tabletten.
Die Unterversorgung mit Vitamin D3 ist in vielen Ländern mit mäßiger Sonneneinstrahlung, kalten Wintern und nur mäßigem Fettfischkonsum ein rege diskutiertes Problem. Eine Lösung besteht darin, Vitamin-D-haltige Lebensmittel täglich aufzunehmen und so oft wie möglich in die Sonne zu gehen. Darüber hinaus wird durch die Anreicherung von Lebensmitteln mit Vitamin D3 in vielen Ländern eine Erhöhung der Zufuhr aus der Nahrung angestrebt.
Die tägliche Vitamin-D-Aufnahme mit der Nahrung in verschiedenen Ländern ist ungefähr wie folgt (1 µg entspricht 40 IE Vitamin D3):
Bevölkerungsgruppe | tägliche Vitamin-D3-Aufnahme | davon supplementiertes Vitamin D3 | Referenz |
---|---|---|---|
junge, weiße, amerikanische Männer | 8,1 µg | 5,1 µg | |
junge, weiße, amerikanische Frauen | 7,3 µg | 3,1 µg | |
schwarze, amerikanische Erwachsene | 6,2 µg | 4,3 µg | |
britische Männer | 4,2 µg | 1,4 µg | |
britische Frauen | 3,7 µg | 1,1 µg | |
japanische Frauen | 7,1 µg | 0 µg | |
norwegische Männer | 6,8 µg | 2,9 µg | |
norwegische Frauen | 5,9 µg | 2,9 µg | |
spanische Männer | ca. 4 µg | ||
spanische Frauen | ca. 3 µg | ||
deutsche Männer | 2,9 µg | 0 µg | |
deutsche Frauen | 2,2 µg | 0 µg | |
italienische Haushalte | 3,0 µg |
Innerhalb dieser Bevölkerungsgruppen und zwischen den ausgewerteten Studien variieren diese Durchschnittsangaben aber erheblich.
In Deutschland ist die Vitamin-D3-Supplementierung bei deutschen Erwachsenen bislang nicht üblich. Die Ergebnisse der Nationalen Verzehrsstudie 2008 zeigen, dass nur etwa 3 % aller befragten Frauen und weniger als 2 % der befragten Männer zusätzlich 5 µg Vitamin-D3 pro Tag aufnehmen.
In den USA und in Kanada wird die Trinkmilch regelmäßig mit 10 µg Vitamin D3 pro Liter supplementiert. In Großbritannien, Irland und Australien dürfen Frühstückscerealien und Margarine mit Vitamin D3 supplementiert werden. In Norwegen und Japan trägt der Fettfischkonsum zur Vitamin-D-Versorgung durch die Nahrung bei. In den meisten anderen Ländern wird mit der Nahrung kaum Vitamin D3 aufgenommen.
Industriell hergestellte Säuglingsmilch muss in den USA mit 1 bis 2,5 µg / 100 kcal supplementiert sein, Säuglinge, die gestillt werden oder weniger als 500 ml dieser Formelnahrung trinken, sollen täglich 200 IE (5 µg) Vitamin D3 bekommen.
Mit der Nahrung aufgenommenes Vitamin D wird rasch im Dünndarm resorbiert und gelangt mit den Fetten zusammen über die Lymphe in die Blutbahn. Dort hat es eine Halbwertzeit von 19 bis 25 Stunden. In dieser Zeit wird es entweder im Fettgewebe abgelagert oder in der Leber zu 25(OH)Vitamin D3 hydroxyliert.
Überdosierung und Toxizität
Eine akute oder chronische Vitamin-D-Überdosierung kann zu einer Vitamin-D-Hypervitaminose führen. Der Wissenschaftliche Lebensmittelausschuss der Europäischen Kommission hat 2002 folgendermaßen zu der Sicherheit des Vitamin D3 Stellung genommen:
- Eine maximale tägliche Dosis von 50 µg (2000 IE) für Jugendliche und Erwachsene (inklusive Schwangere und stillende Mütter) und 25 µg (1000 IE) für Kinder in den ersten 10 Lebensjahren sind von Gesunden ohne Risiko von Nebenwirkungen auch ohne medizinische Aufsicht langfristig einnehmbar.
- Diese Angabe ist zumindest für Erwachsene vorsichtig und mit einem Sicherheitsfaktor von 2 versehen, das heißt, dass eigentlich erst bei über doppelt so hohen Dosen Nebenwirkungen beobachtet wurden. Gemessen an den üblichen Vitamin-D-Dosierungen erscheint diese Stellungnahme für Erwachsene einen genügenden Spielraum zu lassen. Bei Kleinkindern ist dieser Sicherheitsbereich geringer.
Von den meisten Autoren wird für Erwachsene eine tägliche Zufuhr bis zu 100 µg (4000 IE) Vitamin D3 über sechs Monate als sicher angesehen, das heißt ohne nachprüfbare Nebenwirkungen, wie z. B. eine erhöhte Calciumausscheidung im Urin.
Die Packungsbeilagen von apothekenpflichtigen Vitamin-D-Präparaten geben dagegen eine Überdosierungschwelle zwischen 40.000 und 100.000 IE für Erwachsene an, die über ein bis zwei Monate eingenommen werden müssen. Die Packungsbeilage eines Medikamentes gilt normalerweise sowohl medizinisch als auch juristisch als ausschlaggebend.
Neuere Untersuchungen zeigen darüber hinaus, dass eine Aufnahme von bis zu 10.000 IE bei über 3500 Probanden in keinem Fall toxische Effekte zeigte und dass eine Einnahme von durchschnittlich 9600 IE nötig ist, um die krebsschützenden Effekte von Vitamin D bei 97,5% der Bevölkerung zu ermöglichen.
Vitamin-D3-Mangel
Mangel von Sonnenlicht (UVB-Strahlung)
Die Höhe des Sonnenstandes ist unter anderem ein entscheidender Faktor für die Vitamin-D3-Bildung in der Haut. Wird sie bei sonst guten Lichtbedingungen ganztägig so unterschritten, dass kein Vitamin D3 mehr in der Haut gebildet werden kann, spricht man von dem „Vitamin-D-Winter“, der eigentlich ein „Vitamin-D-Polarwinter“ ist. Des Weiteren spielt für die Lichtintensität eine Rolle die Bewölkung, das Ozon, die Höhe über dem Meeresspiegel, die Beschaffenheit der Erdoberfläche usw. Ab einer bestimmten Summe UVB-Licht-absorbierender Faktoren ist die Lichtintensität zu gering, um noch Vitamin D3 in der Haut bilden zu können.
In den gemäßigten Breiten steigt die Vitamin-D-Bildung in der Haut mit der Höhe des Sonnenstandes exponentiell an und ist daher stark jahreszeitabhängig. Bei niedrigem Sonnenstand mit vorwiegendem UVA-Anteil des Sonnenlichtes ist die Grenze zwischen effektiver Vitamin-D-Bildung in der Haut und Sonnenbrand schmal oder eben gar nicht erreichbar.
Nördlich des 52. Breitengrades (London, Ruhrgebiet) und nach anderen Forschungen schon des 42. Breitengrades (Barcelona, Norditalien) kann im Winter nicht mehr ganztägig Vitamin D3 in der Haut gebildet werden. Unterhalb des 37. Breitengrades (Los Angeles, Sizilien) sei dagegen eine ausreichende Vitamin-D-Biosynthese sicher über das ganze Jahr möglich.
Einfluss der Hautbeschaffenheit
Je heller die Haut, desto besser kann UVB-Strahlung für die Vitamin-D-Bildung genutzt werden. Menschen, die im Laufe der Ausbreitung des Menschen von Afrika in nördliche Breiten ausgewandert sind, entwickelten helle Haut. Die einzige Ausnahme bilden die Inuit, die erst seit relativ kurzer Zeit die Arktis bewohnen und ihren Vitamin-D-Bedarf durch die Nahrung decken (Fettfische).
Nicht angepasst sind wir an vergleichsweise sehr moderne Lebensumstände: Weitgehendes Leben in geschlossenen Räumen, unter Glas, bei künstlichem Licht, unter einer uvb-licht-filternden Smogglocke, konsequente Benutzung von Sonnencreme oder weitgehend vollständige Bedeckung der Haut mit Kleidern unter freiem Himmel. Schon im alten Rom war die Mangelerkrankung Rachitis beschrieben worden; besonders zu den Zeiten der beginnenden Industrialisierung im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts - und zu dieser Zeit insbesondere in den Industriestädten Europas und Nordamerikas - war sie weit verbreitet. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkannte man den Zusammenhang zwischen Rachitis, Sonnenlicht und Vitamin D3.
Auch heute noch ist die Vitamin-D-Versorgung in vielen Ländern nicht optimal, wie epidemiologische Untersuchungen ergeben haben. Je nach Risikogruppe kann der Mangel, auch in Deutschland, beträchtlich sein: So wurde in der EsKiMo-Studie (Teilstudie der KIGGS-Studie des Robert-Koch-Institutes) bei sechs- bis elfjährigen Kindern, für die aufgrund ihres Größenwachstums Vitamin D (und Calcium) besonders wichtig sind, ein Defizit an zugeführtem Vitamin D ermittelt": Die durchschnittliche Aufnahme für Kinder in Deutschland lag bei 1,5 µg Vitamin D pro Tag, während die deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) 5 µg in ihren Leitlinien empfiehlt (siehe Kapitel Vitamin D3 in Nahrungsmitteln weiter unten). Eine zu geringe Vitamin-D-Versorgung spiegelt sich auch in den in KIGGS erfassten Serumwerten von 25(OH)Vitamin D3 wider.."
Wenn Menschen mit dunkler Haut heute in höheren Breiten leben, vergrößert sich ihr Risiko für einen Vitamin-D-Mangel zusätzlich. Besonders während der Schwangerschaft kann der Mangel entstehen. Die Supplementation von Vitamin D in der Schwangerschaft kann wegen des hohen Bedarfs unzureichend sein. Einen Mangel fanden Lisa Bodnar und Kollegen in einer Studie bei 80 Prozent der Afroamerikanerinnen und knapp der Hälfte der weißen us-amerikanischen Frauen, und dies, obwohl neun von zehn der insgesamt 400 Schwangeren eine Vitamin-Supplementation betrieben.
Laborwerte
Die Bestimmung des Vitamin-D3-Spiegels im Blutserum reflektiert nur die Vitamin-D-Aufnahme mit der Nahrung bzw. die Eigensynthese in der Haut während der letzten Stunden bis Tage. Für eine Untersuchung des längerfristigen Vitamin-D-Status ist die Bestimmung des 25(OH)Vitamin-D3-Spiegels im Blut, in das das Vitamin D3 in der Leber rasch umgewandelt wird (siehe oben), sinnvoller. Die Halbwertzeit des 25(OH) Vitamin D3 in der Blutzirkulation ist je nach Vitamin-D-Gesamtstatus 1–2 Monate. Bis sich nach einer Änderung der täglichen Vitamin-D-Zufuhr ein neues Fließgleichgewicht mit einem dann wieder stabilen Serumwert einstellt, vergehen bis zu vier Monate.
Das 25(OH)D3 lässt sich seit Anfang der 1980er Jahre bestimmen und ermöglichte ein weitergehendes Verständnis für die Physiologie des Vitamin D3. Die Angabe der Meßwerte erfolgt entweder in Gewichts- oder molaren Konzentrationseinheiten, wobei 1 ng/ml etwa 2,5 nmol/l entspricht.
Niedrige 25(OH)Vitamin-D3-Spiegel
Menschen aus südlichen Ländern, die viel der Sonne ausgesetzt sind und ihre Haut nicht komplett bedecken, haben häufig Serumkonzentrationen von 50 bis 90 ng/ml.
Ab einer Serumkonzentration von unter 30 ng/ml kompensiert der Körper mangelnde Vitamin-D-Wirkungen auf den Calciumhaushalt mit einem erhöhten Parathormon (s. u.). Ferner ist die Calciumabsorption im Darm ab einem 25(OH)Vitamin-D3-Spiegel unter 30 ng/ml gebremst.
So geht man heute von folgender Bewertung der Serumkonzentration für 25(OH)D3 aus:
- Werte unter 11 ng/ml bedeuten eine ernste Rachitisgefahr für Kleinkinder und Säuglinge sowie eine Osteomalaziegefahr für den Erwachsenen.
- Werte unter 20 ng/ml bedeuten einen langfristig relevanten Vitamin-D-Mangel (auch wenn eine manifeste Rachitis oder Osteomalazie nicht zwangsläufig auftritt).
- Werte zwischen 30 und 60 ng/ml bedeuten eine physiologisch sicher ausreichende Versorgung.
- Werte über 88 ng/ml bedeuten eine Vitamin-D-Überversorgung
- Werte über 150 ng/ml bedeuten eine Vitamin-D-Intoxikation.
- Werte über 280 ng/ml führen zu ernsthaften Störungen in der Calciumhomöostase.
Bezüglich dieser Normwerte differieren die Literaturangaben. In der sechsten Auflage des Buches "Labor und Diagnose" werden folgende Referenzbereiche für Vitamin D 25 OH genannt: Alter bis 50 Jahre: 50 bis 175 nmol/l, Alter ab 50 Jahre: 63 bis 175 nmol/l.
Der Blutspiegel wird über einen weiten Dosisbereich täglicher Vitamin-D-Zufuhr von 20 µg bis 250–500 µg bei Erwachsenen in einem Bereich von 30 bis 88 ng/ml gehalten und steigt erst bei noch höherer Zufuhr an. Diese obere Grenze entspricht der maximalen täglichen Bildung des Vitamin D3 in der Haut.
Häufigkeit niedriger 25(OH)Vitamin-D3-Spiegel
Je nach Jahreszeit, geographischer Breite, Nahrungsgewohnheiten, Bevölkerungsgruppe und Lebensstil fällt der 25(OH)Vitamin-D3-Spiegel in Bereiche, bei denen man von einem Vitamin-D-Mangel ausgehen muss. Niedrige Vitamin-D-Spiegel sind ein unabhängiger und langfristiger Risikofaktor für eine Reihe von Krankheiten (Krebserkrankungen, Autoimmunerkrankungen, Infektanfälligkeit, brüchigere Knochen). Da (wie oben erklärt) ein niedriger Vitamin-D-Spiegel zivilisationsbedingt ist, ist er zwar oft normal, aber deshalb noch nicht gesund. Folgende Werte fanden sich in verschiedenen Studien:
Ort | geogr. Breite | Gruppe, Alter | Sommer / Herbst (ng/ml ± SD) |
Winter / Frühjahr (ng/ml ± SD) |
Ref. |
---|---|---|---|---|---|
Miami (Florida) | 26° | über 18. Lj. | 26,8 ± 10,3 (Männer) 25,0 ± 9,4 (Frauen) |
23,3 ± 8,4 | |
Boston (Massachusetts) | 43° | weiße Frauen 20.–40. Lj. | 34,2 ± 13,2 | 24,0 ± 8,6 | |
Boston (Massachusetts) | 43° | schwarze Frauen 20.–40. Lj. | 16,4 ± 6,6 | 12,1 ± 7,9 | |
Paris | 49° | männliche Jugendliche | 23,4 ± 8,0 | 8,2 ± 2,8 | |
Calgary (Alberta) | 51° | 27.–89. Lj. | 28,6 ± 9,4 | 22,9 ± 8,5 |
Paris wurde als Vertreter mitteleuropäischer Verhältnisse bezüglich geographischer Breite, Nahrungsgewohnheiten und Supplementation in die Tabelle aufgenommen. Hier fällt insbesondere der äußerst niedrige Wert im Winter auf. Zu bedenken ist jedoch u.a. die Reduktion der UV-Strahlung durch Smog.
Die Auswirkung unterschiedlicher Hautpigmentierung wird am Beispiel aus Boston deutlich.
Technische Synthese von Vitamin D
Die photochemische Synthese von Vitamin D2 wurde erstmals 1927 vom Göttinger Chemiker Adolf Windaus entdeckt und untersucht. Seine Arbeiten ermöglichten die Fabrikation des antirachitischen Vitamins D2 durch die Pharmaunternehmen E. Merck und Bayer (Markenname Vigantol), wodurch der Vitaminmangel vieler Kinder therapiert werden konnte. Seit einigen Jahren werden vermehrt Nahrungsergänzungsmittel auch mit Vitamin D3 angereichert. Die Anreicherung von Lebensmitteln des täglichen Bedarfes mit Vitamin D ist aufgrund seiner Toxizität in Deutschland derzeit hingegen verboten. Da Butter einen natürlich hohen Gehalt hat, gibt es eine einzige Ausnahmegenehmigung für Margarine, um sie ihrem Vorbild gleichwertig zu machen.
Bei der technischen Synthese des Vitamins D2 geht man vom Ergosterol aus, welches aus Hefe gewonnen wird, und setzt es der UV-Strahlung einer Quecksilberdampflampe aus, wobei alle Wellenlängen außerhalb des Bandes 270–300 nm ausgefiltert werden. Das entstehende Gemisch aus Prävitamin und Vitamin kann je nach Temperatur des Ansatzes eine hohe Konzentration Vitamin D2 enthalten, das chromatografisch abgetrennt wird. Auch bei der Herstellung von Vitamin D3 wird von derselben Vorstufe ausgegangen, wie sie auch im Körper vorkommt, dem 7-Dehydrocholesterol, welches seinerseits durch Bromierung eines Cholesterol-Esters mit anschließender Dehydrobromierung und Verseifung erhalten wird. Beide photochemischen Reaktionen werden zweckmäßigerweise in Mikroreaktoren durchgeführt.
Geschichte
Die Entdeckung von Vitamin D ist mit der Suche nach einem Heilmittel für Rachitis verknüpft. Im Jahre 1919 konnte gezeigt werden, dass die Heilung von Rachitis durch Bestrahlung mit künstlich erzeugtem UV-Licht möglich ist, zwei Jahre später wurde dies ebenfalls durch die Bestrahlung mit normalem Sonnenlicht nachgewiesen. Unabhängig von diesen Erkenntnissen war etwa zeitgleich der britische Arzt Sir Edward Mellanby davon überzeugt, dass Rachitis durch ein Ernährungsdefizit ausgelöst werde und konnte ebenfalls 1919 an Experimenten mit Hunden zeigen, dass Rachitis durch Butter, Milch und insbesondere Lebertran geheilt werden konnte. Er hielt daraufhin das erst kurz zuvor in Lebertran entdeckte Vitamin A für den auslösenden Faktor. Es war bekannt, dass Vitamin A durch Oxidation zerstört wird. Lebertran verliert deshalb nach oxidativer Behandlung die Fähigkeit, Nachtblindheit zu heilen. So behandelter Lebertran war jedoch weiterhin in der Lage, Rachitis zu kurieren. Der Chemiker Elmer Verner McCollum (in Zusammenarbeit mit dem Kinderarzt John Howland) schloss daraus, dass ein weiterer Stoff, unabhängig vom bekannten Vitamin A, für diese Wirkung verantwortlich war. Als das vierte gefundene Vitamin (nach den Vitaminen A, B und C) wurde es daraufhin „Vitamin D“ genannt.
Siehe auch
- Calcitriol für die Wirkungen des aktivierten Vitamin D
- Ergocalciferol
- Hypovitaminose (Unterversorgung), Hypervitaminose (Überversorgung)
Literatur
- J. Haas: Vigantol – Adolf Windaus und die Geschichte des Vitamin D. 2007, ISBN 3-8047-2223-7
- Dusso AS, Brown AJ, Slatopolsky E: Vitamin D. Am J Physiol Renal Physiol. 2005 Jul;289(1): F8–28. Review. PMID 15951480
- Zeeb, Hajo; Greinert, Rüdiger: Bedeutung von Vitamin D in der Krebsprävention. In: Dtsch Arztebl Int. Nr. 107(37), 2010, S. 638–643
- R. Bouillon, G. Carmeliet u.a.: Vitamin D and human health: lessons from vitamin D receptor null mice. In: Endocr. Rev. Band 29, Nummer 6, Oktober 2008, S. 726–776, . doi:10.1210/er.2008-0004. PMID 18694980.
Fundstellen
Vitamin D gegen Rheuma
Etwa 1% der Menschen leidet an rheumatoiden Arthritiden. Im Mäusemodell hemmte Vitamin D die Entstehung und das Fortschreiten der schmerzhaften entzündlichen Immunkrankheit. Bei den Mäusen wurde eine Arthritis ausgelöst,entweder durch Kollagen oder durch eine Infektion mit Borrelia burgdorferi (Lyme-A.). Die Lyme-Arthritis kam unter einer Gabe von 20 ng Calciferol zum Futter nach drei Wochen zum Stillstand. Bei den Kollagen-immunisierten Mäusen halbierte sich die Krankheitsrate. Mit 50 ng/d konnte sie völlig verhindert werden.Bei bereits erkrankten Mäusen wurde das Fortschreiten mit einer zusätzlichen Injektion von 300 ng verhindert.Da die Tiere im Entzündungsgeschehen, in der Antigen-Spezifität und der genetischen Vorbelastung dem Menschen ähneln, sind die Ergebnisse vielversprechend. Zwar ist der genaue Wirkmechanismus nicht bekannt, man weiß jedoch, daß Calciferol das Immunsystem in vielfältiger Weise beeinflusst. Mit der Vitaminfunktion hatten die Wirkungen dagegen nichts zu tun: In keinem der Experimente war der Calciumhaushalt verändert.Quelle: Cantorna, MT et al: 1,25-Dihydroxycholecalciferol inhibits the progression of arthritis in murine models of human arthritis. Journal of Nutrition 1998/128/S.68-72
Anmerkung: Aufgrund der Toxizität von exogen zugeführtem Vitamin D (EU.L.E.n-Spiegel 1996/H.5/ S.1-6) wäre es interessant zu prüfen, ob nicht auch Tageslicht gegen Rheuma hilft.
Fördert Vitamin D-Mangel eine Herzinsuffizienz?
Ein Vitamin D-Mangel scheint bei der Entstehung einer Herzinsuffizienz beteiligt zu sein, wie aktuelle Studiendaten vermuten lassen. Ob Vitamin D auch einen therapeutischen Nutzen bei dieser Erkrankung hat, wird zur Zeit in einer weiteren Studie überprüft."Bisherige Studien haben genügend Hinweise geliefert, daß die Hypothese des Vitamin D-Mangels bei der Entstehung einer Herzinsuffizienz von Bedeutung ist, vertretbar ist", so Dr. Armin Zittermann zur "Ärzte Zeitung". So habe man etwa Vitamin D-Rezeptoren in den Herzmuskelzellen gefunden, die bei Vitamin D-Mangel möglicherweise nicht ausreichend stimuliert würden, meint Zittermann. Der Ernährungswissenschaftler von der Uni Bonn hat bei 54 Patienten mit Herzinsuffizienz ab NYHA-Stadium II und 34 gesunden Personen die Vitamin D-Serumwerte bestimmt.
Ergebnis: Bei herzinsuffizienten Patienten unter 50 Jahren lag der Calcitriol-Wert bei 25 ng/l, bei Patienten über 50 bei 37 ng/l und bei gesunden Personen bei 45 ng/l.
Zur Überprüfung des Zusammenhangs zwischen Vitamin D und Herzinsuffizienz hat Zittermann eine Doppelblindstudie initiiert, in der 100 Patienten für ein Jahr Vitamin D oder Placebo erhalten. Der Therapieerfolg wird mit biochemischen und klinischen Parametern sowie mit Fragebögen ermittelt. Mit ersten Ergebnissen wird Ende des Jahres gerechnet.
Für eine ausreichende Vitamin D Versorgung empfiehlt Zittermann, sich von Mitte März bis Mitte Oktober mindestens eine Stunde täglich im Freien aufzuhalten. In der Nahrung ist Vitamin D in Lachs, Hering und Aal enthalten.
Quelle: J Am Coll Cardiol 41, 2003, 105; Ärzte Zeitung, 06.03.2003.
Schmerzen durch Vitamin D -Mangel?
Eine US-amerikanische Untersuchung zeigt, dass die Mehrheit der Schmerzpatienten nicht ausreichend mit Vitamin D versorgt ist. Die Hinweise mehren sich somit, dass unspezifische Muskel- und Knochenschmerzen die Folge eines Vitaminmangels sind.
US-amerikanische Wissenschaftler untersuchten insgesamt 150 kindliche und erwachsene Patienten mit unspezifischen Muskel- und Knochenschmerzen. Neun von zehn Teilnehmern litten unter einem Vitamin-D-Mangel. Bei den unter 30-Jährigen waren sogar alle untersuchten Personen nicht ausreichend mit diesem Vitalstoff versorgt - gut die Hälfte in erheblichem Ausmass. Bei fünf Patienten konnte schliesslich überhaupt kein Vitamin D nachgewiesen werden.
"Die Ergebnisse unterscheiden sich deutlich von der medizinischen Lehrbuchmeinung. Nach ihr hätten wir den Vitamin-D-Mangel eher bei älteren Menschen vermutet", betont Studienleiter Prof. Dr. Greg Plotnikoff. "Wir fanden die größten Defizite bei jüngeren Menschen - insbesondere bei Frauen im gebärfähigen Alter."
Nach Ansicht von Plotnikoff sollte häufiger routinemäßig auf einen derartigen Mangel gescreent werden, weil dieser erhebliche Folgen haben kann (Osteoporose, Bluthochdruck, Diabetes, Krebs etc.). Besonders angezeigt sei die Untersuchung bei Patienten mit unspezifischen Muskel- und Knochenschmerzen. Inwieweit die Schmerzen durch eine gezielte Vitamin-D-Gabe bekämpft werden können, müssen nun weitere Studien zeigen.