Andere Länder, andere Leiden von Lynn Payer

Dieses Buch wurde zuerst 1988 veröffentlicht, 1995 neu auflegt und ist noch immer im Druck. "Andere Länder, andere Leiden - Ärzte und Patienten in England, Frankreich, den USA und hierzulande" vergleicht und kontrastiert die Praxis der Medizin in den vier Ländern. Dieses ist nicht ein Buch über unterschiedliche Gesundheitssysteme, sondern eher ein Buch darüber, wie unterschiedlich Ärzte und Patienten in diesen Ländern Diagnosen und Therapien anwenden, und welche, häufig unausgesprochenen Ideologien, dabei mitwirken.

Dabei geht es weniger um die unterschiedlichen Sprachen in diesen vier Ländern (Deutschland, Frankreich, England, Vereinigte Staaten von Amerika (USA)) , als vielmehr um ganz prinzipielle kulturelle Unterschiede, die einen entscheidenden Einfluss auf die Sichtweise und Einschätzung von Krankheiten haben. Und ja, auch wenn nicht direkt formuliert, es ist eine Kritik der Weltanschaung der Medizin.

Lynn Payer vergleicht, zunächst aus persönlichen Gründen, später aus grundsätzlichen Erwägungen, die "Medizin" in den vier Ländern. Frappierend dabei war, das die Medizin, bei vergleichbarem Standard, recht unterschiedliche Ansichten zu ein und derselben "Sache" (Symptom, Krankheit, Diagnose, Therapie, ...) hatte. Sie führt diese Unterschiede nicht auf individuell subjektive Deutungsmuster der einzelnen Ärzte zurück, sondern bietet als Erklärungsmodell ein im jedem Land vorhanden, kulturell und historisch bedingtes Verständnis von Medizin und Krankheit. Ob diese Erklärung hinreichend ist, sei dahingestellt - ausreichend belegt sind jedoch die von Lynn Payer beschriebenen Differenzen in der Medizin, die eigentlich einen universalen Anspruch erhebt. Nicht nur die Einschätzung einer Krankheit ist von Land zu Land unterschiedlich, sondern auch die Festsetzung von Toleranzgrenzen, die Verschreibung von Medikamenten, und die Indikation von Operationen. All dies kann sich für eine bestimmte Diagnose | Therapie drastisch von einem Land zum anderen unterscheiden, und das, was in einem Land einvernehmlich anerkannt ist, wird in einem anderen Land durchaus als "Kunstfehler" angesehen.

"Französische Ärzte diagnostizieren vage Symptome als Spasmophilie oder etwas, das mit der Leber zu tun hat; Deutsche Ärzte erklären sie als verursacht durch das Herz, niedrigen Blutdruck oder vasovegetative Dystonie; die Briten sehen es quasi als Gemütskrankheit wie etwa Depression; und die Amerikaner suchen wahrscheinlich nach einer viralen oder allergischen Ursache."

"Ein Glaube an das Terrain spielt ohne Zweifel eine Rolle bei der Tatsache, daß in der Intensivmedizin in Frankreich weniger invasive Eingriffe als in den Vereinigten Staaten durchgeführt werden - wobei die Patienten in beiden Ländern gleichermaßen gut wohlauf sind."

"Westdeutsche nehmen pro Kopf ungefähr sechs mal die Menge an Medikamenten für das Herz ein wie Franzosen oder Engländer."

"Herzinsuffizienz hat keine wirkliche Übersetzung ins Englische; es gilt nicht als eine Krankheit in England, in Frankreich oder in Amerika. Deutsche Doktoren übersetzen es häufig als 'cardiac insufficiency'."

"Bei weitem die stärkste philosophische Bewegung in Großbritannien ist die der Empiriker gewesen. 'Nur weil es funktionieren sollte, bedeutet nicht, daß es das auch tut ... Die Daten sind wichtiger als die Hypothese ...' Dieser Respekt für auf Tatsachen beruhende Details erklärt, warum die Briten die hauptsächlichen Befürworter der randomisierten, kontrollierten Studien in der medizinischen Forschung.

"Nicht alle französischen Ärzte sind Kartesianer, nicht alle deutschen Ärzte autoritäre Romantiker, nicht alle englischen Ärzte freundlich aber paternalistisch, nicht alle amerikanischen Ärzte aggressiv. Wie mit den meisten Karikaturen, könnten diese Abbildungen verzerrt sein, aber sie basieren auf den Wahrheiten, die in der allgemeinen medizinischen Praxis des jeweiligen Landes gefunden werden."

 

Original Titel: Medicine and culture: varieties of treatment


Diagnose | Therapie

Es gibt ein altes Sprichwort unter Medizinern: "Vor die Therapie hat der liebe Gott die Diagnose gestellt." Wer also Therapeutika vertreiben möchte, tut mitunter gut daran, rechtzeitig für die entsprechenden Diagnosen zu sorgen. Die Anwendung der Therapeutika ergibt sich dann fast wie von selbst.

 

 

Schmerzen & Verletzungen