Ein Rückfall ist menschlich und muss keine Katastrophe sein!

 

Bei dem Versuch, die Alkoholabhängigkeit zu überwinden, ist ein Rückfall eher die Regel als die Ausnahme. Dies wird leicht verständlich, wenn Sie sich einmal vor Augen führen, wie schwer es ist, sich bestimmte Gewohnheiten oder Verhaltensweisen "abzugewöhnen". Es ist schwer, ein über viele Jahre praktiziertes Verhalten innerhalb kurzer Zeit und beim "ersten Anlauf" einfach abzustellen. Sie haben bei entsprechenden Versuchen vielleicht die Erfahrung gemacht, das Sie für das Verhalten, welches Sie aufgeben wollen, etwas neues suchen und finden müssen. Wenn Sie z. B. den Fernsehkonsum reduzieren wollen, so ist es sicherlich hilfreich, sich stattdessen eine andere Beschäftigung zu suchen, die Ihnen Freude macht, etwas, das Sie gerne tun und bei dem Sie etwas "gewinnen". Wenn wir uns Ziele setzen, ist es also wichtig, das es sich um positive Ziele handelt; Ziele, für die es sich subjektiv lohnt, Energien zu investieren. Gans ähnlich verhält es sich mit dem Rückfall bei Alkoholabhängigen: Es reicht nicht zu beschließen "Ich trinke keinen Alkohol mehr!", denn dann erleben Sie zunächst nur den Verlust eines Begleiters, der Ihnen vielleicht über lange Zeit ein "Freund" und "Seelentröster" gewesen ist. Ein/e Alkoholabhängige/r, die/der wider besseres Wissen und trotz guter Vorsätze erneut Alkohol trinkt, versucht damit (meistens nicht bewusst) , sich in einen erträglichen, angenehmeren Gefühlszustand zu versetzen. So gesehen kann ein Rückfall letztlich als Versuch angesehen werden, Unangenehmes zu Vermeiden und Angenehmes herbeizuführen. Diese Beschreibung ist nur der kleinste gemeinsame Nenner, auf den Rückfall zu bringen sind. Die Auslöser, Gründe und Hintergründe sind sehr unterschiedlich. Der Eine will vielleicht schwer erträgliche Gefühle wie Ärger und Verzweiflung betäuben; eine Andere wünscht sich durch den erneuten Alkoholkonsum die ersehnte Entspannung und Entlastung, der Dritte will vielleicht Angst und Traurigkeit überspielen. All diese Beweggründe haben eine Gemeinsamkeit: Es gibt eine Unzufriedenheit mit dem bestehenden, ein Unbehagen an der Wirklichkeit und Lebensrealität mit ihren Einschränkungen und Konflikten.

 

Der Rückfall kann Sie also darauf aufmerksam machen, was in Ihrem Leben eine Belastung darstellt und was Sie davon bislang nicht zufrieden stellend gelöst oder akzeptiert haben. Unter diesem Aspekt kann ein Rückfall eine Chance für Betroffene darstellen. In jedem Fall ist er ein Signal, sich mit seinem/ihrem Leben aufrichtig auseinanderzusetzen und nicht vor sich selbst zu fliehen. Diese Sichtweise soll nun keine Einladung zum Rückfälligwerden darstellen, sondern sie soll deutlich machen, das ein Rückfall kein Grund ist, alles bisher erreichte "über Bord zu werfen" nach dem Motto: "Das hat ja sowieso alles keinen Sinn, ich schaffe es doch nicht!".  Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen können helfen, das Leben meister zu lernen, ohne den Alkohol als "Freund und Begleiter" einzusetzen. Denn auch der Rückfall ist letztlich keine Dauerlösung. Das erneute Trinken ist nur eine scheinbare Hilfe, denn nach Abklingen der Alkoholwirkung sind die gleichen Probleme, unangenehmen Gefühlszustand und unerfüllte Wünsche wieder da.

 

Es bleibt festzustellen: Ob Rückfall nur als Ausdruck des Scheiterns anzusehen sind oder auch als Krise im positiven Sinne, hängt ganz wesentlich davon ab, wie wir den Rückfall erklären. Wer einen Rückfall nur als Ausdruck von Willensschwäche, Uneinsichtigkeit oder Krankhaftigkeit begreift, übersieht, das sich aus einem Rückfall viel lernen lässt. Wichtig ist noch: Der Anschluss an eine Selbsthilfegruppe stellt immer auch eine Maßnahme der Rückfallvorbeugung dar!

 

Rückfall: Ein Alptraum für die Angehörigen

Die häufigsten Anlässe für Rückfälle sind nicht Überredung, Streit oder schwere Schicksalsschläge an sich sonder Einsamkeit, Niedergeschlagenheit, Angst, Gereiztheit, Gekränktsein, unerklärliche Stimmungsschwankungen, Gefühle der Sinnlosigkeit und Leere, Anspannung und Nervosität.

Rückfälle geschehen meistens nicht auf Festen oder in Lokalen, sondern zu Hause. Dies bedeutet nicht, das die Angehörigen für ein ausgewogenes Gefühlsleben des Betroffenen sorgen müssen! Dies ist ganz allein die Verantwortung und Aufgabe des Abhängigen. Die Angehörigen tun gut daran, wenn sie ebenfalls gut für ihre Gefühlslage und Bedürfnisse sorgen lernen.

 

Für Angehörige ist es ebenfalls wichtig, sich mit dem Rückfall auseinanderzusetzen wie für den Betroffenen selbst, weil der Rückfall bei der Genesung von Alkoholabhängigkeit eher die Regel als die Ausnahme ist. Das bedeutet, das auch Sie als Angehörige mit solch einer Situation wahrscheinlich konfrontiert werden, wenn Sie mit einem Alkoholabhängigen zusammenleben. Für Sie ist es also wichtig zu lernen, wie Sie sich einem Rückfall verhalten können, damit Sie den Betroffenen nicht (unbewusst) in seinem Rückfallverhalten stützen.

 

Es ist eine Illusion zu glauben, durch Liebe, Fürsorge, In-Watte-packen und Fernhalten von Problemen verhindern zu können, das der Alkoholabhängige rückfällig wird.

Die Angehörigen haben nicht die Verantwortung für das Verhalten des Betroffenen. Ihr alkoholabhängiges Familienmitglied muss seine Erfahrung selbst machen können - auch schmerzliche. Erst wenn es/sie lernen, wie er/sie mit Enttäuschungen, Angst und andere schwierige Gefühlen umgehen kann, ohne zur Flasche zu greifen. Sie als Angehörige/r müssen lernen, Ihrem Partner nichts von seinen Aufgaben abzunehmen - auch dann, wenn er sie nicht so perfekt bewältigt, wie Sie es selbst vielleicht machen würden.

Machen Sie sich mit dem Gedanken vertraut, das Sie den Alkoholkonsum Ihres Familienmitgliedes nicht verursacht haben und das es nicht in Ihrer Macht steht, einen Rückfall zu verhindern. "Wenn Du mich nicht dauernd kritisieren würdest, brauchte ich auch nicht zu trinken..." - Suchtkranke sind Meister darin, die Verantwortung für ihren Alkoholkonsum anderen zuzuschreiben. Versuchen Sie, nicht in diese Falle zu treten!

 

Haben Sie den Mit, sich zu fragen, was Ihnen fehlen wird, wenn das abhängige Familienmitglied nicht mehr abhängig ist. Dieser Vorschlag mag Sie zunächst verwirren oder sogar verärgern. Allerdings ist es ganz natürlich, das auch Ihnen vielleicht etwas fehlt, an das Sie sich gewöhnt haben. Sollte das abhängige Familienmitglied jetzt wieder selbst Dinge in die Hand nehmen, die Sie jahrelang übernommen haben, so bedeutet das nicht, das Sie sich gleich damit wohl fühlen werden. So kann ein Rückfall durchaus altbekannte und vertraute Situation wieder herstellen.

 

Suchen sie sich Hilfeangebote für Angehörige von Alkoholikern in Ihrer Umgebung. Glauben Sie nicht, das Sie alles allein bewältigen müssen. An Ihrem Wohnort oder in der näheren Umgebung gibt es vielleicht eine Beratungsstelle oder Selbsthilfegruppe, die sie aufsuchen können. Gestehen Sie sich selbst eine Veränderung in kleinen Schritten zu und vermeiden Sie es, sich zu überfordern oder Ihre eigenen Rückfälle in bekanntes Verhalten zu verurteilen. Machen Sie sich klar, was Sie tun werden, wenn die abhängige Person weiterhin trinken wird. Teilen Sie ihr Ihre Entscheidungen mit, wenn sie nüchtern ist.

 

Der Weg aus der Sucht braucht seine Zeit. Geduld, Gelassenheit und Toleranz für den Lebensweg anderer Menschen sind angebracht.

 

 

 

 

 

 

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